Selbstverständnis Kollektivhäuser 2012

Einleitung

Der „Kreuzer“, ein Leipziger Stadtmagazin beschäftigte sich im April 2012 mit der Dynamik von Hausprojekten in Leipzig. Er titelte vielversprechend: „Goodbye, Immobilienhai. Wie Leipzigs neue Hausbesitzer auf eigene Faust sanieren und bauen“. Wie so oft in der öffentlichen Debatte, vermischte auch dieser Text dann ganz verschiedene Konzepte (zwischengenutzte „Wächterhäuser“, Eigenheime von Baugruppen und selbstverwaltete Hausprojekte) zu einem indifferenten Brei unter dem Label „neue Hausbesitzer“. Dagegen positionierten sich eine Reihe politischer Hausprojekte mit einem Leserbrief. Sie formulieren damit gleichzeitig ein eigenes Selbstverständnis als „Kollektivhäuser“, das mittlerweile als Basis für die Zusammenarbeit dient. Die nebenstehenden Passagen sind ein Auszug aus dem Leserbrief.

Anmerkung der AG Beratung aus aktuellem Anlass: Der Text enthält in Bezug auf Ausbauhäuser eine inhaltliche Unschärfe: Das Modell „Ausbauhäuser“ beinhaltet nicht, wie im Text behauptet, befristete Mietverträge. Gleichwohl trifft die inhaltliche Zielrichtung der Kritik zu, da individuelle Mietverträge keine dauerhafte Selbstverwaltung des Hauses erlauben. Mit einem Mieterwechsel sind die billigen Mieten dahin.

AUSZUG AUS DEM LESERBRIEF:

Wir positionieren uns im Namen verschiedener selbstorganisierter Wohnhäuser im Kollektiveigentum.

Unsere Häuser sind:

– keine Eigenheime und keine Selbstnutzerprojekte

„Selbstnutzer“ – so werden jene AkteurInnen genannt, die sich teils allein, teils mit anderen Menschen Eigentumswohnungen in der Stadt schaffen. Ein Eigenheim ist eine Wertanlage: Der Eigentümer oder die Eigentümerin sichert sich das Wohnrecht und die Möglichkeit, durch späteren Verkauf am Immobilienmarkt zu profitieren. Die Entscheidungsprozesse liegen immer in den Händen der jeweiligen EigentümerInnen. Auch wenn sich eine Gruppe aus FreundInnen als Selbstnutzergemeinschaft ein Haus kauft, ziehen, sobald ein Alteigentümer weitervermietet, zwangsläufig Hierarchien ein. Auch können die jeweils privaten Anteile gewinnbringend, ohne Zustimmung der anderen verkauft werden. Die Beteiligung an derartigen Projekten ist für Geringverdienende ohne finanzielle Rücklagen schlichtweg nicht möglich. In selbstorganisierten Wohnhäusern im Kollektiveigentum entscheiden hingegen alle BewohnerInnen gemeinsam darüber, was im und mit dem Haus geschieht. Wer neu hinzuzieht, hat die gleichen Rechte und Pflichten. Wer auszieht, kann nicht wegen gestiegener Durchschnittsmieten im Stadtteil Profit aus Untervermietung schlagen. Die Hausgemeinschaften dieser Häuser dienen nicht der Bildung, Sicherung und Anhäufung privaten Kapitals.
Selbstorganisierte Wohnhäuser im Kollektiveigentum bieten andere Vorteile:

  • die Möglichkeit, über die eigene Wohnsituation langfristig mitbestimmen zu können
  • die Gewissheit, dass der Wohnraum nicht wieder privatisiert wird
  • die Sicherheit, dass die Mieten günstig bleiben, da sie nur den hausinternen Bedürfnissen dienen und nicht privater Kapitalbildung

– keine „Wächterhäuser“ und keine „Ausbauhäuser“

„Wächterhäuser“ sind Zwischennutzungen für 3-5 Jahre, bei „Ausbauhäusern“ geht es um Mietverträge für ca. 10 Jahre. Eine Hauseigentümerin stellt ihr Haus für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung, damit das Haus erhalten, schrittweise saniert und aufgewertet wird. Ziel ist es, diese Zeiträume zu überbrücken, bis es am Immobilienmarkt wieder bessere Verwertungschancen gibt. In solchen Häusern können tolle Hausgemeinschaften entstehen. Doch sie können nicht selbst über ihre Zukunft im Haus bestimmen. Selbstorganisierte Wohnhäuser im Kollektiveigentum sind kein Zwischenspiel bis zur „richtigen“ Verwertung. Diese Häuser sind eine Alternative dazu.

– keine Bausteine einer Imagekampagne

Das Image von Leipzig ist uns egal. Ein positives Image der Stadt trägt zu gesteigerter Nachfrage oder zumindest zu höheren Gewinnerwartungen bei. Dies lässt die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt steigen. Unsere Häuser sind kein Teil eines Stadtmarketings, das mit dem Charme der „kreativen Klasse“ Investoren anlocken möchte. Wir verzichten auf die „kreative Stadt“ und bauen an der „Stadt für alle“. Unsere Häuser sind ein Mittel, Freiräume für viele Menschen zu schaffen und langfristig zu erhalten. Und genau deshalb sind selbstverwaltete Häuser auch manchmal Investitionshindernisse.

– nicht zwangsläufig Genossenschaften

Uns verbindet zwar mit großen Wohnungsbaugenossenschaften, dass die Häuser rechtlich im Eigentum ihrer MieterInnen sind. Doch die Verwaltungsstrukturen sind oft derart festgefahren und bürokratisiert, dass das Verhältnis der MieterInnen zu „ihren“ Häusern genauso entfremdet ist wie in normalen Mietwohnungen. Eine Verwaltung entscheidet was geschieht, ein Hausmeisterservice übernimmt die Bewirtschaftung. BewohnerInnen und Verwaltungsspitze sind einander meist fremd. Selbstverwaltete Häuser arbeiten mit viel kleineren Strukturen – hier sind die BewohnerInnen direkt involviert. Das kann in der Rechtsform einer Genossenschaft geschehen. Aber es sind auch andere Formen üblich: Kauf oder Erbbaurecht durch Vereine, eine GmbH im Mietshäuser Syndikat oder auch ein Stiftungsprojekt.

Möglichkeiten gibt es viele, wichtig sind die uns verbindenden Grundsätze:

  • Gleichberechtigung aller BewohnerInnen
  • gemeinschaftliches, kollektives Eigentum
  • eine Nutzung, die sich nicht am Geld orientiert, sondern Menschen mit geringen finanziellen Mitteln Zugang ermöglicht
  • Schaffung einer solidarischen Infrastruktur zwischen den Häusern und Unterstützung neuer Gruppen

Es geht nicht darum, das Privileg preiswerten Wohnraums für uns oder eine kleine Gruppe ähnlich Gesinnter zu behalten – es geht darum, eine Stadt für alle anzustreben. In diesem Sinne sind unsere Häuser politisch.

A und V, Lützner Straße 30 | Casablanca e.V. Josephstraße 12 | KunterBunte 19, Georg-Schwarz-Straße | Meuterei, Zollschuppenstraße 1 | politur e.V., Zschochersche 68 | Wohnungsgesellschaft mbH Central LS W 33, Merseburger Straße 102 – 104 | Zo11e, Zollschuppenstraße 11